Eingestellt: 26.09.2017; Verfasser: Franz Horn;

Flucht und Vertreibung

Im Gedenken an Adophine und Franz Potsch

Franz Potsch: geboren am 09.04.1905 in Gaisdorf (Bodenstadt), gestorben 1984 in Dorchheim
Adophine Potsch geborene Lehnert: geboren 1907 in Hermsdorf, gestorben 1986 in Dorchheim

   Inhaltsverzeichnis:


      1. Gestolpert und immer wieder aufgestanden

      2. Ja, so war das damals

      3. Karte der alten Heimat

      4. Ein paar Bilder

   

 


 Goldene Hochzeit

  Gestolpert und immer wieder aufgestanden


1946
  Man schreibt das Jahr 1946, dem Jahr der Vertreibung aus dem Sudetenland. Zu Fuß mit 50kg Gepäck, drei Kindern und ungewisser Zukunft, war man von Rudelzau über Bodenstadt (Potštát) am Bahnhof in Weißkirchen (Hranice na Morave) angekommen, wo man sich zur verladung einzufinden hatte.
  Im überfüllten und verschlossenen Viehwaggon, kaum zu Essen und zu trinken, keine Sanitären Anlagen außer einem Eimer für 30 Personen, kam man nach drei Tagen Zugfahrt in Weilburg-Villmar an. Tochter Anni erinnert sich noch genau daran, wie der Zug über die Grenze rollte und alle Insassen ihre Armbinden entfernten und aus dem Zug warfen. Hier wurde man auf LKWs verladen und auf das Umland verteilt, Adolphine Potsch geborene Lehnert, wurde mit ihren Kindern dem Dorf Dorchheim, am Fuße des Westerwaldes, zugeteilt.

1929
  Es war nicht die erste Vertreibung. Franz Potsch hatte eine Arbeit als Fuhrmann bei dem Tschechischen Sägewerkbesitzers Webcek in Leipnik, (Lipnik nad Becvou) angenommen und so zog man in diesen Ort. Man wohnte auf Miete aber schon nach kurzer Zeit wurde ein Haus gekauft, dass so groß war, dass man noch eine Tschechiche Familie zur Miete aufnehmen konnte, und nebenbei wurde noch eine kleine Landwirtschaft aufgebaut. Auch die zweite Tochter Emmi wurde in diesem Haus geboren. Man hatte ein gutes Auskommen bis 1939 das Sudetenland heim ins Reich kam. Der Ort befand sich nicht auf Sudetendeutschem, sondern auf dem Territorium der Resttschechei und hier war man als Deutscher seines Lebens nicht mehr sicher. Man flüchtet Hals über Kopf nach Rudelzau nahe der Oderquelle, in dem Sudetendeutschen Landkreis Bärn (Moravský Beroun), das Haus wurde von den Tschechen Kostenfrei übernommen.
  Da der Tschechiche Sägewerksbesitzer nur Sudetendeutsche angestellt hatte, hatte auch er nach dem Krieg unter starken Represalien der eigenen Landleute zu leiden und musste deshalb nach Deutschland flüchten.

1939
  In Rudelzau angekommen konnte man einen kleinen Bauernhof pachten und zum zweiten mal baut man sich mühsam eine neue Existenz auf, mühsam auch deshalb, da Franz in die Wehrmacht eingezogen wurde, hier war er fast durchgehend in Narvik (Norwegen) stationiert, die kleine, neu aufgebaute Landwirtschaft (3 Pferde!) musste also von Adolphine alleine bewerkstelligt werden. Drei Pferde auch deshalb, weil man Fuhrdienste zu den Bahnhöfen Bautsch (Budišov nad Budišovkou) und Domstadtl (Domašov nad Bystricí) annahm, die meistens von der am Anfang 13-Jährigen Tochter Anni übernommen werden mussten.
  Zwei Töchter hatten Adolphine und Franz, die dritte Tochter war unterwegs, so kann man sich vorstellen, dass der ältesten Tochter Anni die Arbeit nicht ausging. Ab und zu kam Schwager Julius zur Hilfe, aber einen Kriegsgefangenen, wie viele Bauern im Reich ihn zugeteilt bekamen, hatte man nicht.
  Zum Kriegsende hin hatten die Russen, nach schweren Kämpfen, Rudelzau eingenommen, wurden aber wieder von der Deutschen Wehrmacht zurückgeworfen, anschließend wurde der Ort wieder von den Russen eingenommen. Auf die folgenden schrecklichen Tage und Wochen in Rudelzau, mit Tragödien, Mord und Vergewaltigungen, soll hier nicht näher eingegangen werden.

  Aber auch dieses Zuhause fand durch die Beneš-Dekrete und der damit verbundenen Vertreibung der Sudetendeutschen aus ihrer Heimat 1946 ein jähes Ende.

1946
  Angekommen in Dorchheim stand man zunächst der ablehnenden bis feindlichen Haltung der einheimischen Bevölkerung gegenüber und so wurde Adolphine Potsch mit ihren zwei Töchtern Emmi und Hilda, gegen den absoluten Willen der Eigentümerin, Tilly Will (die Mutter von Helene Schmitt beborene Will (Post)), in deren Hause untergebracht. Der Ehemann von Tilly Will, der "Schulhannes Schneider" genannt wurde und von Beruf Schneider war, war in Kriegsgefangenschaft und so war das Zimmer, in dem der Schneider seiner Arbeit nachging, im Moment frei. Als dieser nun aus der Gefangenschaft kam, musste man sich nach einer neunen Bleibe umsehen, da dieser seine Werkstatt natürlich wieder brauchte. Der Wohnungsbedarf wurde in Limburg auf dem Wohnungsamt angemeldet und die als nächstes frei werdende Wohnung in Dorchheim wurde als neue Bleibe zugesagt.

  Tochter Anni wurde, als gut nutzbare Arbeitskraft, direkt bei der Ankunft von Pfarrer Göb an den Bauern Theodor Klein vermittelt, dort übernahm sie die Pflege der .... Es ging ihr ganz gut bei den Kleins und dort lernte sie auch ihren späteren Mann Norbert Horn kennen. Als in der Nachbarschaft ihres Arbeits- und Wohnplatzes eine, dem Wohnungsamt gemeldete Wohnung, neu bezogen wurde, bekam Anni das natürlich mit. Sie wandte sich an den Besitzer Georg Rudersdorf (Herlesse Schorsch) und bekam die Antwort, er hätte keinen Einfluss darauf, wer bei ihm einziehen dürfe, das wäre Sache des Wohnungsamtes. Arglos setzte sich Anni in den nächsten Bus nach Limburg um auf dem Wohnungsamt vorstellig zu werden, da man ihnen doch die nächste frei werdende Wohnung zugesagt hatte. Hier wusste man nichts von der Neubesetzung der Wohnung und ein Beamter fuhr sofort nach Dorchheim um nach dem Rechten zu sehen. Es stellte sich nun heraus, dass dieser Neubezug nicht genehmigt war. Der Hausbesitzer hatte nämlich, ohne Absprache mit dem Wohnungsamt, die Wohnung an die alleinstehende B vermietet, dem Junggesellen war natürlich eine alleinstehende Frau lieber, als eine Mutter mit zwei Kindern, wo auch noch der Mann mit jedem Tag aus der Kriegsgefangenschaft kommen konnte.
  Die Möbel der neuen Mieterin wurden kurzerhand vom Wohnungsamt, unter Podest der Möbelbesitzerin und des Hauseigentümers, aus dem Haus entfernt. Dem Hass des Hauseigentümers ausgesetzt, war Adolphine nun nicht mehr gewillt dort einzuziehen. Da kannte man aber das Wohnungsamt schlecht, "hier oder unter der Lasterbachbrücke" war die unmissverständliche Antwort des Zuständigen Beamten und so begann ein Mietverhältnis, das nicht unter dem Stern von Bethlehem stand. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass die alleinstehende Dame, übrigens auch aus dem Sudetenland, noch untergekommen ist, und zwar direkt in der Wohnung des Hausbesitzers. Schwer belastet war nun das Mietverhältnis und die Repressalien reichten vom Abschließen der Wohnung bis hin zum hetzten des scharfen Schäferhundes auf die Kinder, immer schön so, dass es auch keine Zeugen gab. So kam es schon mal vor, dass Besucher aus dem Fenster klettern mussten, wenn sie nach Hause wollten, weil der Besitzer das Haus verbarrikadiert hatte. Es gäbe hier einige Episoden zu berichten, aber jeder, der diese Zeilen liest kann sich denken, wie es hier zuging.

Auch diese Zeit ging zu Ende.

  Franz, mittlerweile aus französischer Kriegsgefangenschaft auch in Dorchheim eingetroffen, verdingte sich als Knecht auf dem Bauernhof des Josef Heftrig in Mühlbach.

  Bei einem Witwer in der unmittelbaren Nachbarschaft konnte man sich neu einmieten und als dieser starb erwarb man das baufällige Haus, renovierte es und so hatten Franz, Adolfine, ihre zwei Töchter Emmi und Hilda ein neues, wenn auch kleines, Zuhause. Die Eltern von Adolphie wohnten in einem 1-Zimmer Apartment im Haus Oppermann aber als der Vater 1948 an schwäche und Heimweh starb, wurde die Mutter auch im neuen Heim aufgenommen.

  Eine kleine Landwirtschaft wurde aufgebaut, alle zwei Wochen befreite Franz Potsch die Dorchheimer von ihrem Müll, eine schwere Arbeit mit Pferd und Wagen, zu der sich sonst kein Dorchheimer Bauer bereitfand. Im Winter wurde mit dem Pferd im Wald Holz gerückt und Adolphine betrieb einen Getränkehandel wo man auch vor Ort sein Getränk zu sich nehmen konnte. Dieser Getränkehandel war auch ein Ort der Geselligkeit und der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass auch der Mann, der sie so schikanierte, sich ohne Skrupel in dem Getränkehandel einfand, so als ob nichts gewesen wäre. Vergessen all die Boshaftigkeiten, denn in dieser geselligen Runde wollte man Natürlich nicht fehlen.

  Nie habe ich gehört, dass meine Großeltern boshaft über Mitmenschen hergezogen sind. Man könnte fast meinen, umso schlimmer ein Mensch ein Schicksal erdulden muss, umso demütiger wird er. Es sei noch erwähnt, dass sie bis an ihr Lebensende mit "Daheim" nicht den Westerwald bezeichneten.

 Franz mit seiner Rita. Im Hintergrund die historische Mistmauer, in jugendlichem Übermut und unter Alkoholeinfluss fanden hier regelmässig Wettkämpfe statt, wer "es" über die die Mauer schafte, natürlich nur, wenn in nachbars Garten keine Wäsche hing.
  Mit großem Fleiß hatte man sich zum dritten mal eine kleine Existenz aufgebaut, aber auch diese wurde ihnen nicht gegönnt und so kam es immer wieder zu Aussagen, dass diese Existenz nur mit Geld aus dem Lastenausgleichsgesetzt ermöglicht wurde, Geld das sich die Flüchtlinge zum großen Teil erschwindelt hätten. Noch im Jahr 2015 habe ich mir in einer Hangenmeilinger Gastwirtschaft anhören müssen, dass neueste Untersuchungen ergäben hätten, die Flüchtlinge aus dem Sudentenland hätten bei ihren Anträgen zum Lastenausgleich 10-mal mehr Land angegeben als das Sudetenland groß gewesen ist. Es ist immer so, man braucht nur ein Gerücht in die Welt zu setzten und die, die es glauben wollen, glauben es.

  Über 30 Jahre sind Franz und Adolphine schon Tot und da es anstand, ihre Gräber dem Erdboden gleich zu machen, habe ich zu ihrem Gedächtnis diese Zeilen niedergeschrieben. Gerade in der heutigen Zeit soll nicht vergessen sein, dass es den Hass auf Fremde, sei es aus Angst, Neid oder sonstigen Gründen, schon immer gab, aber oft überwunden wurde. Waren es nach dem Krieg die Heimatvertrieben, in den 60ern und 70ern die Gastarbeiter (es gab früher viele Lokalitäten mit einem Schild am Eingang "Ausländer kein Zutritt"), dann die Türken, dann die Russlanddeutschen, so sind es heute die Menschen aus Kriegsgebieten, die aus ihren Heimatländern unter Lebensgefahr geflüchtet sind und bei und Schutz suchen. Ohne dass man ihre Geschichte kennt, werden Flüchtlinge in Schubladen gepackt, mit den Ursachen ihrer Flucht, für die auch wir Deutsche verantwortlich sind, will man sich nicht auseinandersetzten. Dass es nach jeder größeren Zuwanderungswelle auch einen Wirtschaftsaufschwung in Deutschland gab, wird auch völlig ausgeblendet.

  Natürlich sind Einwanderungswellen mit großen Problen verbunden aber dass so viele Menschen nichts aus der Vergangenheit gelernt haben, stimmt mich manchmal sehr nachdenklich und manchmal sehr wütend.

 Zu Besuch in der alten Heimat, im Osten der Tschechoslowakei im Jahr 2007, hier vor dem Gedenkstein des 1000 Selen Dorfes Rudelzau. Das Dorf wurde von russischen Panzern, bei Übungen, dem Erdboden gleichgemacht. Auf dem, im Jahr 2000 aufgestellten, Stein steht: RUDOLTOVICE RUDELZAU 1394-1946
v.l.n.r. Tochter Hilda Hannappel (in Rudelzau geboren), Tochter Anni Horn, Renate Wintersohl (Lebensgefährtin von Enkel Franz), Enkel Franz Horn, Enkelin Gerlinde Weil, Ur-Ur-Enkelin Lolly, Thomas Jung (Ehemann von Enkelin Bärbel), Bärbel Jung und Ur-Enkelin Franziska Jung.


Entlassungsurkunde aus der Gefangenschaft
 Entlassungsurkunde von 19.01.1948 aus französischer Gefangenschaft, wo er fast 3 Jahre auf einem bäuerlichen Betrieb in Thorée-les-Pins, südlich von Le Mans, gearbeitet hatte. Aus Erzählungen dieser Gefangenschaft konnte man unmissverständlich schließen, dass es im dort gut gegangen war und geackert wurde dort nicht ein- nicht zwei- sondern 4- oder 6-Spännig. Auch bekam er von der Hausherrin öfter heimlich mal was zugesteckt, damit er ins Dorf zum Kartenspielen gehen konnte.


Auszüge aus dem Wehrpass
 Musterung am 13.04.1940 Eingezogen am 27.06.1940


 Zugehörige Dienststellen. Ab 1942 das Festungs-Bataillon 643, aufgestellt am 9. Februar 1942 durch die Umbenennung des Landesschützen-Bataillons 326 für den Einsatz in Norwegen.
 Grundausbildung im tschetschenischem Heer
 Einsatzorte


ende
 


  Ja, so war das damals

  So kommentierte meine Mutter Anni Horn den folgenden Artikel aus der NNP

Veröffentlicht in der NNP am 11.02.2016


Im Viehwaggon nach Weilburg



Vor 70 Jahren erreichten die ersten vertriebenen Sudetendeutschen
den Weilburger Bahnhof



  Flucht und Vertreibung sind in diesen Tagen in aller Munde. Der Weilburger Werner Richter (75) hat selbst erlebt, was es heißt, die Heimat verlassen zu müssen, Vor 70 Jahren gehörte er zu den ersten Sudetendeutschen, die in einem Viehwaggon den Bahnhof Weilburg erreichten.

VON MANFRED HORZ


  Weilburg. Fast auf den Tag genau vor 70 Jahren kam auf dem Bahnhof Weilburg der erste Vertriebenentransport aus dem Sudetenland in Hessen an. Der mit 1200 Menschen beladene Güterzug kam aus Kuttenplan im Egerland. Ihm folgten 294 weitere Transporte, auf die eine im Hotel "Lahnbahnhof" angebrachte Gedenktafel hinweist. An das Ereignis erinnert der Kreisverband Limburg-Weilburg im Bund der Vertriebenen (BdV) am Sonntag, 14. Februar, mit einer ökumenischen Andacht auf dem Bahnhof und einer anschließenden Gedenkfeier im Komödienbau.
  Bei dieser Feier wird ein Zeitzeuge zu Wort kommen, der den ersten Transport im Jahr 1946 miterlebte: der 75-jährige pensionierte Pädagoge Werner Richter, Vorsitzender der Europa-Union Oberlahn und Zweiter Vorsitzender des Geschichtsvereins Weilburg. Als Fünfjähriger war er zusammen mit seiner Mutter und seinen beiden Geschwistern - ein älterer Bruder und eine jüngere Schwester - in einen der Viehwaggons gepfercht. Sein Vater, ein Notar, war im September 1945 in seinem Heimatort Weseritz verhaftet worden und befand sich zur Zeit der Ausweisung im Alten Schloss im Gefängnis. Er konnte erst später seinen Angehörigen nach Weilburg folgen.

  Eimer diente als Toilette
  Richters mussten sich wie alle deutschen Bewohner der Kleinstadt Weseritz und anderer Orte am 28. Januar 1946 auf dem Marktplatz mit zwei Koffern und höchstens 50 Kilogramm Gepäck versammeln, das von der tschechischen Polizei gefilzt und um Etliches erleichtert wurde. Der Abtransport erfolgte mit Lastwagen in das in Richtung der bayerischen Grenze gelegene Plan-Kuttenplan, wo ein Übergangslager eingerichtet war. Nach sechs Tagen stand ein 40 Wagen umfassender Güterzug für den Transport nach Deutschland bereit. Je 30 Personen wurden mit ihrem spärlichen Gepäck in einem Waggon untergebracht. Ein Eimer diente als Toilette.
  Das Ereignis ist in einem 40 Seiten umfassenden Dokument festgehalten, das sich seit dem 3. Februar 1946 in den Akten der Stadt Furth im Walde in Bayern befindet. Die in tschechischer, deutscher und englischer Sprache verfasste Zugbegleitliste enthält die Namen, Altersangaben, ehemaligen Wohnorte und Berufsbezeichnungen der- von 1200 Sudetendeutschen, die aus 23 Gemeinden des Bezirks Plan-Weseritz im Egerland vertrieben und in 23 Güterwagen abtransportiert wurden. Die Liste zeigt die riesige Bürokratie, die von den CSR-Behörden eingesetzt wurde, um über drei Millionen Sudetendeutsche in den amerikanischen, englischen und russischen Besatzungszonen des ehemaligen Deutschen Reiches abzuschieben. Auch -gewünschte Ausreiseziele- sind dort angegeben, mit denen die Tschechen bei den aufnehmenden Behörden der Alliierten den Anschein einer freiwilligen Ausreise erwecken wollten. Auf der Liste sind ungefähr 20 verschiedene Städte und Gegenden in Deutschland angegeben, was natürlich unter den Verhältnissen von 1946 reine Utopie war, so Werner Richter.
  Der Zug fuhr von Plan über Mies nach Pilsen. Dies löste Unter den Erwachsenen die Befürchtung aus, man werde in die östliche Tschechoslowakei befördert. In Pilsen wurde der Zug auf die Hauptlinie rangiert, die über Taus (Domazlice) nach Furth im Walde in Bayern und über Amberg nach Nürnberg führt. In Furth mussten sich alle vorsorglich einer Entlausung mit dem DDT-Pulver unterziehen, bevor die Amerikaner die Weiterfahrt des Zuges zuließen. Nach der Grenzstation waren die Gleise und der Bahndamm von weißen Stoffresten bedeckt, die aus den Zügen geworfen wurden. Es waren die weißen Armbinden mit dem Buchstaben N, gleich Nemec (Deutscher), die alle Sudetendeutschen bis zur tschechisch-bayerischen Grenze tragen mussten.

  Ein Laib Brot pro Familie
  Da das Grenzdurchgangslager mit täglich 2000 Ankommenden überfüllt war, fuhr der Zug über Nürnberg, Würzburg nach Frankfurt, um von dort aus über Grävenwiesbach und Weilmünster Weilburg zu erreichen. Auf der Fahrt von der bayerischen Grenze nach Frankfurt gab es in Aschaffenburg einen Aufenthalt, um pro Familie einen Laib Brot und was Trinkbares zu erhalten. In Weilburg wurde der Zug geteilt, wobei ein Teil in das Aufnahmelager nach Villmar gebracht wurde. Die anderen Vertriebenen wurden im ehemaligen Reichsarbeitsdienstlager in Weilmünster untergebracht, bevor sie auf die Gemeinden im Oberlahnkreis verteilt wurden.
  Die Familie Richter kam zunächst nach Essershausen, wo sie mit vier Personen ein Doppelbett, einen Stuhl und einen Tisch in einem Raum hatte. Nach 14 Tagen brachte sie der Landwirt Otto Hardt mit seinem Pferdefuhrwerk über Edelsberg nach Hirschhausen, wo Richters zum Glück eine Wohnung mit zwei Zimmern in der Schule erhielten, in der die Mutter von 1946 bis 1949 unterrichtete.

  13377 Vertriebene
  Nicht nur für die Heimatlosen, auch für die Menschen im Oberlahnkreis bedeutete die riesige Zahl von "Neubürgern" in der Krisenzeit nach dem Kriege eine große Belastung. Ab Februar 1946 wurden im Oberlahnkreis 13377 Vertriebene und Flüchtlinge aufgenommen. Das waren 23 Prozent der Bevölkerung. In Weilburg betrug 1961 der Anteil der Vertriebenen an der Bevölkerung 34 Prozent. 17 Familien aus Richters Heimatsort Weseritz wurden in Laubuseschbach und 13 Familien in Weinbach untergebracht, viele von ihnen haben im damals noch selbstständigen Oberlahnkreis eine neue Heimat und auch ihre Lebensgefährten gefunden. Werner Richter in Waldhausen, Ernst Gärtner, der ebenfalls mit dem ersten Transport kam, in Probbach. Mit im Transport war auch Marie Bruckner geborene Kolarsch und einige andere. Der Älteste in ihrem Waggon war 97 Jahre die Jüngste ein sieben Monate altes Mädchen.

 


  Karte der alten Heimat

 Karte der Alten Heimat im Sudetenland
Ende
 


  Ein paar Bilder

 Julius, der Bruder von Franz, war nach der Vertreibung lange Zeit in einem Sägewerk in Bayern beschäftigt und kam dann in den 70igern nach Dorchheim, die beiden hatten des Öfteren Differenzen über den Umgang mit ihren Pferden. Julius bescherte Manfred Grings, einem Enkel von Franz und Adolphine, eine riesige Fleißaufgabe, indem er kein Testament hinterließ und sich sein Erbe auf über 40 Personen, mit zum Teil minimalistischen Anteilen, verteilte und die zudem noch weit verstreut in Deutschland lebten.
Ende