Eingestellt: 14.02.2017; Verfasser: Franz Horn; (Entwurf)

Ein Pfarrer aus Dorchheim

oder

Erinnerungen an Arzbach



   Inhaltsverzeichnis:


      1964 Onkel Georg

      1968 Ein erfülltes Leben neigt sich dem Ende

      2016 Man erinnert sich doch noch

      2016 Der Familienforscher

   

 


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  Onkel Georg


  Ein Bewegtes Leben ging 1968 zu Ende und viel hätte er uns heute zu Sagen, mit seiner ablehnenden Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus, die ihn auch durchaus ins KZ hätte bringen können, und seinen Erfahrungen mit Not und Elend aus dem ersten Weltkrieg. Verständnis für Nationalismus, dem Ursprung vielen Übels, war bei ihm nicht vorhanden, im Gegenteil, den Nationalismus mit seinen Hauptantriebsfedern Hass und Neid, galt es auf schärfste zu bekämpfen.

  Was prägte seinen Carakter? War es der Tot seiner 9-Jährigen schwerstbehinterten Schwester, den er mit 3 Jahren verkraften musste und für die das kleine Votivkapellchen vor dem Elternhaus gebaut wurde, lies ihn dass zum Seelsorger werden? Wurde er zu einem noch größeren Gegener der Nationalsozialisten, weil er 1938 seinen jüngsten Groß-Neffen Erhard, als ersten Gefallenen Dorchheims (Legion Condor, Spanien), zu Grabe tragen musste? In einem reichen Land, in dem die Reichen immer reicher, die Armen immer ärmer und Hass und Neid immer gößer werden, hätte uns dieser hochinteresannte Mann, der so viel gesehen und erlebt hat, sicher so einiges zu Predigen.

  Seine Eltern, der 1855 geborene, aus Irmtraut stammende Bauerssohn Georg Quernheim, und die 1852 geborene Dorchheimer Bauerstochter und Hoferbin Margarethe, geborene Schultheis, hatten sich wohl einiges erwirtschaftet und waren verhältnismäßig Wohlhabend, sonst hätten sie kaum, im Zuge einer großen Hoferweiterung um 1900, die Scheune und damit unser späteres Elternhaus (Dorfstraße 19), bauen können. Auch die Gebühren für die Unterbringung ihres Sohnes, im Hadamarer Konvikt, mussten aufgebracht werden oder war es ein Stipendium, wir wissen es heute nicht mehr.

  Sein Elternhaus war jener altehrwürdige, vielleicht vierhundert Jahre alte Bauernhof in Dorchheim (Niederdorf 44) an der östlichen Friedhofsmauer, in dem bis kurz vor seinem Abriss, wegen Verbreiterung der Dorfstraße, die Cousine meines Vaters, Hildegard Quernheim, auch eine Nichte des Arzbacher Pfarrers und Mutter der Ria Hummer geborene Quernheim, wohnte.
  Wenn man dieses alte Haus näher betrachtet (auf Bildern), fällt sofort auf, dass die Fenster im ebenerdigen Bereich sehr klein wahren und damit einen Verteidigungskarakter besassen, wie wir ihn wieder am Marienstätter-Hof antreffen. Als Zeuge eines guten Fundaments fällt auch sofort ins Auge, wie gerade das jahrunderte alte Fachwerk, trotz der Hanglage, noch ist. Hatte man hier vielleicht auf Fundamente gebaut, die noch älter sind?
  Mit dem Abriss des Elternhauses von Onkel Georg, ist ein großes geschichtsträchtiges und einige hundert Jahre altes Dochheimer Kulturgut unwiederbringlich verloren gegangen.

  In der Weltanschauung des Mannes, der fast alle Europäischen Länder und natürlich Israel bereist hat, war kein Platz für Fremdenhass und Krieg, aber bevor wir ihm einen universellen Heiligenschein verpassen sei noch gesagt das er innerfamiliär so manchen Krieg ausgefochten hat, vor allem wenn es um Familienmitglieder ging, deren Lebenswandel sich nicht mit seinen Moralvorstellungen deckten. Bei Anbahnung einer festen Beziehung meiner Schwester zu dem männlichen Geschlecht war die erste Frage "Ist er Katholisch?", bei unserm Vater waren es dann eher die Fragen "Wann war die Schlacht bei Cannae?" und "kannst Du Schach spielen?", im nach hinein muss man sagen, dass keiner der Schwiegersöhne meines Vaters, wissen um die Punischen Kriege angehäuft hat und meines Wissens nur einer Schach spielen kann, aber Katholisch sind sie alle.

Unser Pony Felix mit meinen Brüdern Alexander und Norbert. Im Hintergrund das Schultheis'sche Haus, das Elternhaus von Onkel Georg und unserer Oma Christine Horn geb. Quernheim (Dorchheim, Niederdorf 44). (Bild ca.1970)
  Ich kann mich bis heute an einen Sonntäglichen Besuch um das Jahr 1966 erinnern, der für mich zum Teil Richtungsweisend für mein Leben war. Im VW-Käfer des Schwagers von meiner Mutter, Onkel Felix aus Niederhadamar,
Felix mit unserer Schwester Gerlinde die auch so manche Ferien in Arzbach verbracht hat. Auch hier im Hintergrund der Bauernhof von Onkel Georgs Eltern. Die Rückwand der Scheune grenzte an die östliche Friedhofsmauer. Der geschichtstächtige Bauernhof ist während der Amtszeit eines Bürgermeisters aus Hangenmeilingen! und seinen Komplizen, gnadenlos einem Straßenbauprojekt zum Opfer gefallen. Man beachte u.a. im 1.OG zwischen den Fenstern den Fachwerksabschnitt "wilder Mann", den man, mit seiner unheilabwehrender Bedeutung, ab dem 16. Jahrhundert an Fachwerkhäusern bewundern kann. Das Haus wurde wahrscheinlich um das Jahr 1700, von der dorchheimer Familie Schulteiß, erbaut. (Bild ca. 1968)
der uns schon so oft nach Arzbach gefahren hatte, waren wir mal wieder auf Besuch in Arzbach. Wir drei, meine Brüder Norbert, Alexander und ich waren des Wohnzimmers verwiesen worden, da es wichtige Dinge zu besprechen gab. Nach einiger Zeit wurden wir gerufen und mussten auf dem großen Sofa Platz nehmen. "Wollt ihr ein Pony" war dann die Frage von Onkel Georg und wir waren mehr als geschockt, damit hat wohl keiner gerechnet. Ich kann mich erinnern, dass ich die Frage zu aller erstaunen mit "Nein" beantwortet habe. Nicht dass ich kein Pony haben wollte, sondern eher, weil ich der Überzeugung war, dass es sich hier zumindest um ein Missverständnis handeln musste. Es sei noch erwähnt, wir bekamen das Pony und da uns Onkel Felix so oft nach Arzbach gefahren hatte, mussten wir das Pony auch "Felix" nennen, dabei hätte uns Fury viel besser gefallen.

Von Pfarrer Göb sind folgende Worte über diesem langhaarigen Messdiener überliefert: "es haben zu dienen, Raimund Schardt der da ist und Franz Horn der nicht da ist". (Bild ca.1972)
  Meine vier Schwester Gerlinde, Christa, Inge und Bärbel waren schon zu Zeiten, da Onkel Georg noch als aktiver Pfarrer im Pfarrhaus wohnte, in den Ferien in Arzbach und haben sicher noch einige interessanten Episoden aus diesen Zeiten auf Lager, so zum Beispiel wie sie immer für Tante Gretel, im Bierkrug, Bier aus dem Bierhaus hohlen mussten. Interessant waren auch die immer bestehenden freundschaftlichen Beziehungen der Arzbacher nach Dorchheim, so zum Beispiel zur Familie von Jakob und Elisabeth Wagner, die 1937 den Dorchheimer Landhandel gegründet haben, der heute noch von seinem Enkel Tobias Wagner betrieben wird. Es war eine berechtigte Sorge meiner Mutter, dass man in Arzbach über eventuelle Entgleisungen ihrer Kinder, schneller und besser informiert war, als im Elternhaus.

 Seinen Lebensabend wollte Onkel Georg immer in seinem Heimatdorf Dorchheim verbringen und als es so weit war, zog man aus dem Pfarrhaus in Arzbach nach Dorchheim, in das Elternhaus meines Vaters Norbert Horn, dass allein von meines Vaters Schwester, Tante Hilda Horn, die es von ihren Eltern geerbt hatte, bewohnt wurde. Hier war Platz, hier richtete man sich ein, den Lebensabend zu verbringen.

  Nur vier Jahre hielten er und seine beiden Haushälterinnen und Schwestern, Tante Gretel und Tante Liss, es in der alten Heimat aus, dann wurden die Koffer gepackt und man zog wieder ins geliebte Arzbach. Bei der lebenslustigen Tante Rosa und dem immer gutgelaunten Onkel Jupp, in der Forststraße 5, fand man für den Rest des Lebens ein neues Zuhause. Viele Ferien habe ich dort verbracht. Ich kann mich bis heute an die wuchtigen Eichenmöbel mit Schnitzwerk erinnern, die noch heute das Wohnzimmer von meiner, in Arzbach wohnenden, Schwester Inge bereichern und an den Balkon wo immer ein Fernglas lag, mit dem man sich den Waldrand näher holen konnte. Auch mein erstes Bad, in einer richtigen Badewanne, mit Hähnen aus denen heißes Wasser kam, habe ich dort genommen, allerdings nicht mit der Wassermenge, die ich mir vorgestellt hatte, man war halt sparsam.

  Meine letzte Erinnerung an "Onkel Georg" war der Besuch im Emser Krankenhaus kurz vor seinem Tot. Er war todmüde, wollte allein sein und so schickte er uns zu Tante Gretel, seiner Schwester, nach Arzbach, wo uns, wie immer ein leckeres, selbst gemachtes Eis wartete.

  Was mich auch noch dringend Interessiert sind die Ursprünge der jährlichen Frickhöfer Wallfahrt zu den Franziskanern nach Kamp-Bornhofen. War mein Onkel Georg auch daran beteiligt oder ist es Zufall, dass immer in Arzbach übernachtet wurde und die Ursprünge der Wallfahrt gehen weiter zurück. Wer was weiß kann sich ja mal melden.

  Gehe ich heute in seiner Pfarrei auf spurensuche nach Zeugnissen seiner Tätigkeiten als Seelsorger, Initiator von Kirchenbauten und Altenheimen, werde ich leider nicht fündig. Mit der Einebnung seines Grabes schien wohl seine letzte Spur getilgt. Jetzt aber erhielt ich einen Anruf von meinem Freund Kurt Geiger: "Du hast doch mal einen Onkel gehabt, der Pfarrer in Arzbach war und der euch das Pony gekauft hat, es gibt einen Artikel im Jahrbuch des Rhein-Lahn-Kreises in dem er mehrfach erwähnt wird". Kurze Zeit Später war ich im Besitz dieses Artikels und war zutiefst erfreut, dass man sich doch noch in Arzbach an ihn erinnert. Diesen, für mich so wertvollen und informativen Artikel, veröffentliche ich nun hier, hoffentlich mit dem Einverständnis des Arzbacher Autors Claus Winkler, den ich natürlich noch kontaktieren werde. (siehe: "Man erinnert sich doch noch")
Hier wurde ich auch noch fündig: Kirchenchor-Eitelborn


 


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  1968 Ein erfülltes Leben neigt sich dem Ende


    Zeitungsbericht aus dem Jahr 1968:


  Geistl. Rat
  Pfarrer i. R.
  Georg Quernheim

  Am 29. Februar starb im Marienkrankenhaus zu Bad Ems im gesegneten Alter von 83 Jahren Herr Geistlicher Rat Pfarrer i. R. Georg Quernheim. Niemand hätte geglaubt, daß der bis ins hohe Alter noch so erstaunlich rüstige Mann so rasch heimgerufen würde. An Weihnachten trat eine fast völlige Erblindung ein, die er in priesterlicher Gesinnung geduldig hinnahm, und jetzt raffte ihn eine tückische Krankheit rasch hinweg.

  Geistlicher Rat Quernheim wurde am Dreikönigstag 1885 zu Dorchheim geboren. Er besuchte das Konvikt und Gymnasium in Hadamar, und von seiner Gymnasialzeit aus verband ihn eine herzliche Freundschaft mit dem damaligen Konviktregens und späteren Bischof Dr. Antonius Hilfrich. Nach seiner Priesterweihe am Josefstag 1910 erwarb er sich reiche seelsorgliche Erfahrung in seinen vielen Kaplanstellen in Königstein, Salz, Oestrich, Obertiefenbach, Schmitten, Ffm.-Sindlingen und Hofheim, die ihm teilweise, bedingt durch den ersten Weltkrieg, erhebliche Arbeitslast brachten. Nach kurzer Tätigkeit als Pfarrverwalter von Seck-Irmtraut wurde er am 1. Mai 1920 Pfarrvikar von Westernohe. Nach einem Jahr schon übernahm er auf persönliche Bitten von Bischof Dr. Augustinus Kilian die damals noch umfangreiche Pfarrei Arzbach.

  Volle 35 Jahre, bis Oktober 1956, verwaltete er diese Pfarrei, die er nach seiner Pensionierung auf vier Jahre verließ, um in seine Heimat zurückzukehren, die er aber wieder als letzte Stätte für seinen Lebensabend wählte. Jahrzehntelang gehörte der kräftige, riesengroße Mann mit seinem mächtigen Schlapphut zum Bild von Arzbach. Mit Nachsicht betreute er seine Pfarrkinder, denen er gern ein sachgemäßer Berater in landwirtschaftlichen Dingen war.

  Echte Frömmigkeit und kindlicher Glaube zeichneten ihn aus, und seinen zahlreichen Kaplänen war er ein großzügiger Chef. Ausgedehnte Reisen in fast alle europäischen Länder waren seine Erholung, während er sonst eher zurückgezogen lebte. Mit Tatkraft nahm er sich der besonderen Belange der Pfarrei an. Unter ungeheuren Schwierigkeiten erbaute er 1923/1925 die Kirche in Eitelborn für seine große Filiale, die dann später selbständig wurde. Auch für die andere Filiale Kadenbach erbaute er nach dem zweiten Weltkrieg eine schöne Kirche. Schon 1925 wurde das St.-Josefsheim, ein großes Altersheim, eingeweiht und den Heiligstädter Schwestern anvertraut. In Verein mit Landrat Collet und Regierungsrat Bertsche hat er hier eine Stätte immensen Segens für die Caritas des Unterwesterwaldes errichtet. Auch nach seiner Pensionierung half er mit, als Mitglied des Kuratoriums, am Neubau des heutigen großen und modernen Altersheims. Noch in seinen letzten Pfarrerjahren errichtete er das schöne Jugendheim. So zeugen viele Bauten in der Pfarrei für die Arbeit ihres langjährigen Pfarrers.

  Möge der ewige Hohepriester ein gütiger Vergelter sein!
K.


 


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  2016 Man erinnert sich doch noch


    Ein Artikel von Claus Winkler (Arzbach) im Jahrbuch des Rhein-Lahn-Kreises:


 "Persönlich habe ich nie an einen anderen Ausgang geglaubt."

  1945 ging der blutigste Krieg der Menschheitsgeschichte zu Ende. Insgesamt hatten die beteiligten Staaten circa 35.000.000 gefallene Soldaten zu beklagen. Hinzu kommen noch etwa 3.000.000 Vermisste. 1) Die zivilen Opfer, die bei den Bombardierungen, in den Konzentrationslagern oder durch die Vertreibung ihr Leben ließen, kann niemand zählen. Im Laufe des Jahres 2015 gab es zu dieser Thematik eine Fülle von Veröffentlichungen, die aber in ihrer Mehrzahl die große Politik zum Thema hatten. In diesem Beitrag möchte ich einmal aufzeigen, wie diese schicksalsschwere Zeit in einem Dorf, mit damals (1939) etwa 1.250 Einwohnern erlebt wurde. Hierbei habe ich mich in erster Linie an meinen Heimatort Arzbach orientiert, der heute zum Rhein-Lahn-Kreis gehört. Weil Arzbach aber auch gleichzeitig der Hauptort der Augst ist, jener alten Kulturlandschaft, die auch die Dörfer Eitelborn, Kadenbach und Neuhäusel umfasst, konnten die Ereignisse dort nicht gänzlich übergangen werden. Zu tief sind die Bindungen zwischen den Augstdörfen, die in kirchlicher Hinsicht noch heute zusammengehören, politisch aber zum Westerwaldkreis gezählt werden. 2) Bei meiner Arbeit konnte ich mich hauptsächlich auf zwei schriftliche Quellen stützen: die Aufzeichnungen des langjährigen Ortspfarrers, Geistlichen Rat Georg Quernheim (†), und einen ausführlichen Artikel des Altbürgermeisters Herbert Blatt (†). Hinzu kommen noch Gespräche mit verschiedenen Zeitzeugen, insbesondere mit meinem Vater Gotthard Winkler (†), Ewald Lehmler (†) und meinem Onkel Ludwig Schupp (†).

  Die erste persönliche Begegnung meines Vaters mit der Partei Hitlers erfolgte im Frühjahr 1935. Der Lehrer hatte die Knaben des Jahrgangs 1925 im Namen des Ortsgruppenleiters aufgefordert, sich am Nachmittag zu einer bestimmten Uhrzeit am Backes einzufinden. Schon einige Tage vorher hatte man die Jungen mit der Uniform der Hitlerjugend (HJ) ausgestattet. Mein Großvater, Johann Adolf Winkler, war ein politisch interessierter Mensch. Als Handwerker, in der Stellung eines Arbeiters, war er eher der SPD zugeneigt. Dabei sah er vieles in der Arbeiterbewegung durchaus kritisch. Zu Hitler und seiner Partei hatte er eine ablehnende Haltung. Deshalb wollte er meinen Vater nicht zu dieser HJ- Versammlung gehen lassen. Meine Großmutter Maria, geborene Wagner, versuchte meinen Opa umzustimmen, da sie Querelen mit dem Ortsgruppenleiter befürchtete. Man einigte sich schließlich auf einen Kompromiss. Mein Vater durfte zu dem HJ-Treffen hin, sollte aber erst im Backes 3) die Uniform anziehen. Als mein Vater mit der HJ-Montur über dem Arm am Treffpunkt ankam, fragte ihn der Ortsgruppenleiter, warum er nicht uniformiert erschienen sei. Vater antwortete, er habe die Uniform ja dabei, wollte aber nicht "maskiert" durchs Dorf gehen, denn dann würde er sich schämen. Worauf ihn der Ortsgewaltige anbrüllte: "Was, Gotthard, du schämst dich das Kleid des Führers zu tragen?" Man kann sich leicht vorstellen, dass der Ortsgruppenleiter meinem Vater seitdem nicht mehr sehr gewogen war.

  Eine weitere Anekdote, die sich etwa zur gleichen Zeit abspielte, soll nicht unerwähnt bleiben. In der Schule sollte das Titelbild einer nationalsozialistischen Jugendzeitschrift besprochen werden, auf der Hitler in Rednerpose zusammen mit Reichspropagandaminister Joseph Goebbels abgebildet war. Der Lehrer forderte einen Jahrgangskameraden meines Vaters auf, das Bild zu beschreiben. Die knappe Antwort lautete: "Da sind zwei Männlein drauf, das eine reißt das Maul auf."

  Pfarrer Quernheim war zum 1. Mai 1921 als Pfarrer von Arzbach ernannt worden. 4)

  Schon von Beginn der nationalsozialistischen Bewegung an, stand er der Sache kritisch gegenüber. Er machte daraus auch keinen Hehl, weder auf der Kanzel noch im persönlichen Gespräch. Es spricht für die Pfarrkinder von Pfarrer Quernheim, dass ihn niemand angezeigt hat. Selbst die wenigen Nazis hielten anscheinend dicht, denn die Geheime Staatspolizei hat verhältnismäßig spät von der öffentlichen Kritik des Pfarrers an der Nazi-Ideologie erfahren. Erst im Februar 1942 wurde Quernheim vor die Gestapo nach Frankfurt geladen. Man warf ihm vor, sich gegen die Anordnungen der Partei, der Nichtanerkennung der Hakenkreuzfahne und der Hetze gegen HJ und BDM schuldig gemacht zu haben. 5) Quernheim wusste sich aber mit Humor und Bauernschläue aus der Affäre zu ziehen. Er war schon vorher sehr vorsichtig gewesen und bemüht, der Gestapo kein belastendes Material zu hinterlassen. Der Pfarrer musste ja stets mit einer Hausdurchsuchung der Geheimen Staatspolizei rechnen. Aus diesem Grund schreibt er in den Jahren der Nazidiktatur in der Arzbacher Pfarrchronik nur über verhältnismäßig harmlose Dinge. Nach seiner Vorladung steigerte sich seine Wachsamkeit noch mehr. Neben den besonderen Ereignissen in der katholischen Pfarrei sind die Ernte und das Wetter seine bevorzugten Themen. Die Politik wird von ihm nicht mehr erwähnt. Mit dem Jahr 1941 brechen seine Einträge ganz ab. Erst nach dem Krieg fügt er in einem Nachtrag eine Beschreibung der Ereignisse in dieser Epoche an. Durch diese kluge Handlungsweise hat er kein Pfarrkind belastet und blieb seiner Pfarrei in dieser schweren Zeit erhalten. Viele seiner Pfarrangehörigen wissen zu berichten, dass er in vertraulichen Gesprächen kein Blatt vor den Mund nahm. Von Quernheim stammt auch das Zitat: "Persönlich habe ich nie an einen anderen Ausgang geglaubt, nur dachte ich nicht, dass das deutsche Volk solange die Gewaltherrschaft der Nazis ertragen würde 6) Schon Mitte der 30er-Jahre versuchte die NSDAP den Einfluss der Kirche zurück zu drängen. Obwohl man eigentlich durch das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich gebunden war, kam es bereits am 19. April 1934 zum Bruch gegen den Artikel 31 des Konkordats. 7) Dieser garantiert die Freiheit der katholischen Vereine und Verbände. Die Katholische Jugend hat man an diesem Tag im Regierungsbezirk Wiesbaden verboten bzw., es wurde verfügt, dass die Verbände nur noch rein religiös tätig sein durften. Fahnen, Wimpel und Abzeichen durften nicht mehr getragen werden. 8) Mit dem so genannten "Himmler Erlass", vom 20. Juni 1938, ist jegliche katholische Vereinstätigkeit, außerhalb von kirchlichen Räumen, unmöglich geworden. In Eitelborn wurde im Jahr 1938 der Kirchenchor aufgehoben, weil er angeblich die Volksgemeinschaft störe, 9) so dass dort sogar der Chorgesang im Kirchenraum unmöglich geworden war.

  Seit Oktober 1937 war es Pfarrer Quernheim untersagt, den Religionsunterricht in der Schule abzuhalten. 10) Aus diesem Grunde fand die Katechismus-Unterweisung im Pfarrsaal oder der Sakristei statt. 11)

  Das kulturelle Leben, das ja in einem Dorf überwiegend von den Vereinen geprägt wird, gestaltete sich immer schwieriger, zumal das deutsche Vereinswesen nur noch im Rahmen der nationalsozialistischen Vorgaben bestehen konnte. Spätestens, als eine große Zahl der Mitglieder ihren Einberufungsbefehl bekommen hatte, kam jede Vereinstätigkeit ganz zum Erliegen. 12) Am 1. Oktober 1940 befanden sich aus der Pfarrei Arzbach/Augst 204 Mann im Kriegseinsatz. 13) Interessanter Weise war die Zustimmung zum Kurs der NSDAP von Seiten der Bevölkerung im katholischen Unterwesterwald bei der Reichstagswahl am 5. März 1933 sehr verhalten. So konnte die Partei Hitlers im Unterwesterwaldkreis nur 30,1% der Stimmen gewinnen. Die katholische Zentrumspartei hingegen 48,9%. In den Augst-Gemeinden, mit Ausnahme von Neuhäusel, glich die Wahl für die nationalsozialistische Partei einem Debakel.

  Die Wahlergebnisse in den Augst-Gemeinden bei der Wahl zum deutschen Reichstag vom 5. März 1933 14):
OrtGültige StimmenNSDAPSPDKPDZentrumSonstige
Arzbach742153155534810
Kadenbach272468639983
Eitelborn58430172433309
Neuhäusel3411922441165

  Wenn man bedenkt, dass diese Wahl zwei Monate nach der sogenannten "Machtergreifung" erfolgte, zu einer Zeit da schon ein großer Teil des gesellschaftlichen Lebens gleichgeschaltet war, gehörte doch etwas Zivilcourage dazu, der NSDAP die Stimme zu versagen. In Arzbach, Kadenbach und Eitelborn wurden damals weit weniger Stimmen für die NSDAP gezählt als im Kreisdurchschnitt.

  Allein Neuhäusel fällt mit einer Zustimmung von mehr als 50 Prozent aus dem Rahmen. Insgesamt hat die NSDAP in der Augst nur 283 von 1.940 Stimmen erhalten, die katholische Zentrumspartei hatte dagegen 786, die SPD 597 Stimmen! Aus diesem Grunde hat man von Seiten der Gauleitung die Vorgänge in der Augst besonders kritisch unter die Lupe genommen. Wie sehr die Arzbacher Katholiken zu ihrer Kirche standen, wird durch eine Eintragung des Pfarrers deutlich. Vom 6. Bis 16. April 1933 fand in Arzbach eine Volksmission statt, die von vier Redemptoristenpatres gepredigt wurde. Nur zehn Personen aus dem Dorf blieben den täglichen Gottesdiensten und dem Beichtstuhl fern. 15)

  Bereits seit 1933 wurde in der Bevölkerung, hinter vorgehaltener Hand Über die Möglichkeit eines erneuten Krieges gesprochen. Diese Kriegsangst steigerte sich mehr und mehr. Von Seiten der Reichsregierung wurde die Gefahr eines Krieges verneint. Immer wieder wurden in der Presse die festen Überzeugung, der Friede in Europa Worte Joseph Goebels aus einem Interview mit Ward Price vom 4. Juli 1933 wiederholt, dass Goebels vor laufender Kamera gegeben hatte: "Ich bin festen Überzeugung, der Friede in Europa muss erhalten bleiben, ich bin weiterhin der festen Überzeugung, käme ein neuer Krieg, er wäre das größte Unglück für die Welt." 16)

  Ungeachtet dieser Aussagen war der Krieg schon längst eine beschlossene Sache. 17) Bereits in dem Buch Hitlers "Mein Kampf", dessen letzter Band 1926 erschien, geht Hitler auf die Notwendigkeit, auch mit Gewalt "neuen Lebensraum im Osten zu schaffen", ein.

  Wie sollte ein solcher Plan aber, auch ohne neue Völkerfehde, umgesetzt werden? Hitler kannte nur zwei Möglichkeiten: "Deutschland wird entweder Weltmacht sein oder überhaupt nicht sein!" 18)

  Die Wachsamkeit der Unterwesterwälder Katholiken verstärkte sich noch mit der Enzyklika "In brennender Sorge" von Papst Pius XI. vom - Passionssonntag, dem 14. März 1937. Eine Woche später, am Palmsonntag, dem 21. März, wurde das päpstliche Rundschreiben in allen Gottesdiensten in den katholischen Kirchen des Deutschen Reiches verlesen. In Arzbach gab es damals zwei Sonntagsmessen, Frühmesse und Hochamt. Es wird erzählt, dass Pfarrer Quernheim vorsorglich, für den Fall, dass die Enzyklika nach der Frühmesse von der Gestapo beschlagnahmt werden sollte, eine Abschrift im Tabernakel versteckt hatte, damit auch im Hochamt das päpstliche Dokument verlesen werden konnte. 19)

  Quernheim scheint am Vorabend des Weltkrieges die bevorstehende Gefahr geahnt zu haben. Er schreibt: "Was wird das neue Jahr bringen? Unsicher ist die Zukunft mehr denn je. Und die Kriegsgefahr ist noch nicht beseitigt!" 20) Heute wissen wir - das neue Jahr brachte den Krieg!

  Nach Ausbruch des Krieges, am 1. September 1939, war im dörflichen Leben zunächst kaum der eine Änderung zu verspüren. Der deutsche Überfall auf Polen wurde von Hitler als Verteidigungskrieg verkauft. Zu Hause saß mein Vater mit meinen Großeltern und Geschwistern vor dem Volksempfänger und hörte die unvergesslichen Worte Hitlers: "Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurück geschossen!" Pfarrer Quernheim schreibt zum Kriegsbeginn: "Von der Begeisterung, wie 1914, war keine Spur vorhanden.". 21)

  Mit der Einziehung der ersten Väter und Söhne zur Wehrmacht änderte sich allmählich das Bild in unserem Dorf. Viele Arbeiten, die bisher von den Männern ausgeführt wurden, mussten nun die Frauen erledigen, die auch die ganze Sorge für Familie, Haus und Hof zu tragen hatten. Da die meisten Arzbacher keine Vollerwerbslandwirte waren, sondern hauptberuflich als Handwerker, Arbeiter oder Bergleute 22) ihr Brot verdienten, war auch der fehlende Lohn des Vaters für die Familien kein geringes Problem. Außerdem machten sich die fehlenden Arbeitskräfte auch in den Betrieben bemerkbar.

  Als besondere Schikane empfand man die Tatsache, dass die Einberufungsbefehle vielfach nachts zugestellt wurden, so dass die Betroffenen am nächsten Morgen ausrücken mussten. So blieb den Soldaten keine Zeit mehr, wichtige Dinge zu ordnen und die Sakramente zu empfangen. 23)

  Der erste Kriegsgefallene war Josef Groß aus Kadenbach, der am 22. Mai 1940 bei Autoing in Belgien sein Leben ließ. 24)

  Schließlich verging kaum eine Woche mehr, wo kein Requiem, Seelenamt oder Jahrgedächtnis für einen Gefallenen gefeiert wurde. Die Nahrungsversorgung auf dem Land war noch einigermaßen gewährleistet. Fast täglich standen Kartoffeln auf dem Speiseplan. Auch wurde jedes Feld und jedes Stückchen Gartenland bebaut. Meine Oma, die aus Neuhäusel stammte, hatte dort ein größeres Feld geerbt, das bisher brachgelegen hatte. Nun, in der Notzeit, wurden auch auf dem Neuhäusler Acker Kartoffeln angebaut. In der Zeit vor der Kartoffelernte musste abwechselnd ein männliches Mitglied der Familie auf dem besagten Feld schlafen. Man hatte Angst, dass ein anderer die Erdäpfel ernten könnte. Natürlich mussten alle Wege dorthin zu Fuß zurückgelegt werden. Einmal war mein Vater, er mag damals vielleicht 14 Jahre alt gewesen sein, allein auf der "Gromberewacht" 25) Es war eine stockfinstere Nacht. Plötzlich merkte er, dass sich jemand auf dem Acker zu schaffen machte. Da rief er laut den Namen seines älteren Bruders: "Heinrich, wach off, die klaue oos die Grombere vom Feld!" Natürlich war mein ein Onkel Heinrich gar nicht da; sondern lag im heimatlichen Arzbach im Bett. Durch den Zuruf bekamen die Erdäpfeldiebe es aber mit der Angst zu tun und suchten das Weite.

  1939 begann mein Vater eine Lehre zum Schornsteinfeger. Auch hier musste er seine Erfahrungen mit den Nationalsozialisten machen. Die erste Station seiner Ausbildung war in Höhr-Grenzhausen, später wechselte er dann in das nähere Bergnassau zu Bezirksschornsteinfegermeister Wilhelm Behnke. Dieser hatte einen starken Hang zum Politisieren. Behnke war kein Freund des Regimes und scheute sich nicht, dies auch öffentlich zum Ausdruck zu bringen. Nach einer Äußerung Behnkes in einer Nassauer Gaststätte wurde er, Anfang November 1941, von der Gestapo abgeholt und landete schließlich im KZ. Behnke hat die Torturen des Konzentrationslagers überlebt. Ich kann mich erinnern, dass er in meiner Kinderzeit meinen Vater öfters besucht hat. 26) In der Zwischenzeit hatte das deutsche Heer einen Sieg nach dem anderen errungen. Quernheim beklagt in seinem Nachtrag, dass mit den "Blitzsiegen" der Wehrmacht der Nazigeist zugenommen hat: "In Arzbach nicht so sehr wie in den Filialen Eitelborn und Kadenbach. " In der damals schon relativ selbständigen Vikarie Neuhäusel war die Hitlerbewegung von Anfang an stark vertreten. Dass ein Krieg niemals eine glorreiche Schlacht fürs Vaterland ist, zeigt sich in der großen Zahl der Gefallenen. Bis Dezember 1941 waren in der Pfarrei 13 Gefallene zu beklagen, Ende 1942 waren es 29, Ende 1943 57 und bei Kriegsende 91 Gefallene. 27)

  Hinzu kommen noch die zivilen Opfer und die Vermissten. Von den körperlich oder seelisch gezeichneten Kriegsheimkehrern gar nicht zu reden.

  Bald hielt der Luftkrieg auch in der stillen Augst und deren Umgebung Einzug. Im Oktober 1943 kam es über Kadenbach zu einem Luftkampf deutscher Jagdfliegern mit amerikanischen Bombern. Zum Glück gingen die Bomben nicht über den Dörfern nieder, sondern am Arzbacher Stock. Doch auch hier gab es einen Toten. Für den Kaufmann Willi Löwenguth aus Montabaur kam jede Hilfe zu spät. Sein Begleiter, Spenglermeister Josef Weyand, wurde schwer verletzt. 28)

  Besonders nach der Invasion Frankreichs durch die Alliierten, am 6. Juni 1944, wurde die Lage immer brenzliger. An jenem 6. Juni sah man hunderte von deutschen Bombern über dem Himmel der Augst. 29) Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch unsere nähere Heimat Ziel von Vergeltungsschlägen durch feindliche Fliegerbomberwerden würde. 1944 gingen Bomben in Ober- und Niederlahnstein nieder. Auf Koblenz, das in den Vorjahren schon mehrfach unter schweren Bombenangriffen zu leiden hatte, fielen am 29. Januar 1945 über 906 Tonnen Bomben. Im Februar/März des letzten Kriegsjahres 1945 wurde Nassau zu 80 Prozent zerstört, während Bad Ems als Lazarettstadt weitgehend vom Bombenhagel verschont blieb. Die damalige Kreisstadt Montabaur wurde am 22. Februar 1945 unter starkes Bombardement genommen. 30)

  Bereits 1942 hatte man den Bau von Luft Schutzbunkern am Oberdörfer Weiher und am Mühlenberg vorangetrieben. Als weitere Luftschutzräume sollten die stillgelegten Bergwerksstollen am "Silberkäulchen" und zum Bergwerk" dienen.   Somit verfügte Arzbach vier Bunker.31)

  Besonders in Arzbach ging jetzt die Angst um. Da im Jahr 1943 auf der Montabaurer Höhe die Abschussrampen die VI und V2 32) gebaut worden war, stieg die Bombengefahr erheblich. 33)

  Am 3. Dezember 1944, einem Samstagnachmittag, stürzte auf dem Bereich der oberen, "Gass" ein deutscher Jagdflieger ab. Auf Initiative des "Anner Jupp" (Josef Winkler) und Berthold Gerharz wurde ein Holzkreuz errichtet, welches die Inschrift trägt: "Den Menschen zur Mahnung. Absturz eines unbekannten Fliegers 3. 12. 1944". 34) Bereits ein Jahr vorher, am 4. Oktober 1943, war am "Nießling" eine amerikanische Maschine niedergegangen. 35)

  Im November 1944 kam es dann zu einem Bombenabwurf am Bierhaus, wobei zwei Häuser teilweise zerstört wurden. 36)

  Monat später, am 28. Dezember, gingen 26 Bomben 37) in der Nähe des Pfarrhauses nieder, ohne größere Schäden anzurichten. Dass Pfarrer Quernheim auch in dieser schweren Zeit seinen Humor nicht verloren hat zeigt sein launiger Eintrag in die Pfarrchronik: "Mehrere Dachschäden im Josefshaus, am Haus Loos und anderen." 38)

  Alle Männer bis 60 Jahre, die bisher noch nicht zu den Waffen gerufen wurden, waren nun zum Dienst im sogenannten Volkssturm verpflichtet. Schon zuvor war ein Teil des Jahrgangs 1928/29 zum Arbeitseinsatz nach Merzig/Saar beordert worden, mit der Aufgabe Schützengräben auszuheben. Nun mussten auch die restlichen Jugendlichen des Jahrgangs 1929, damals gerade 16 Jahre alt, ihrer Einberufung zur Wehrmacht Folge leisten. Die meisten Eltern wollten aber von Rekrutierung nichts wissen. Die Jungen versteckten sich also im Arzbacher Wald, wurden dort aber von einer SS-Streife entdeckt. Nur dem mutigen Einsatz einiger Arzbacher Frauen war es zu verdanken, dass die jugendlichen Deserteure nicht standrechtlich erschossen wurden. 39)

  Im gleichen Jahr 1944 mussten verschiedene Arbeitskommandos an den Eingängen des Dorfes Panzersperren errichten. 40)

  Auch im letzten Kriegsjahr war die Fliegergefahr noch nicht gebannt. Im Februar 1945 war der Arzbacher Bürger Johann Lehmler (genannt "Zeitze Johann") zusammen mit seiner Frau Katharina zu Fuß auf dem Heimweg von Koblenz nach Arzbach. In Höhe der "Meerkatz" gerieten die zwei in einen Bombenhagel. Sie sprangen schnell in einen Graben, spannten den Regenschirm auf und nahmen ihre Zuflucht zum Gebet. Sie kamen mit leichten Verletzungen davon, die im Bad Emser Marienkrankenhaus behandelt wurden. Herbert Blatt schreibt dazu: "Das Verhalten des Ehepaars beweist, was ein starker Glaube und ein Regenschirm vermögen. 41)

  Im gleichen Jahr erhielt mein Vater die Einberufung zur Wehrmacht. Bisher war er bedingt durch seine Tätigkeit im vorbeugenden Brandschutz im Rahmen des Schornsteinfegerhandwerks, auf Antrag seines betagten Meisters, vom Kriegsdienst als unabkömmlich freigestellt worden. Lediglich zum "Reichsarbeitsdienst" wurde er eine Zeit lang einberufen. Mein Großvater verbot meinem Vater kategorisch, dem Einberufungsbefehl Folge zu leisten. Er war wohl durch die Nachrichten der "Feindsender" über den Ernst der Kriegslage bestens informiert. Ein deutscher Sieg war ja schon seit Ende 1943 immer unwahrscheinlicher geworden, und jeder gefallene Soldat war einer zu viel. An einen deutschen Sieg war nicht mehr zu denken. Außerdem war schon sein ältester Sohn Heinrich im Fronteinsatz, von dem man schon längere Zeit nichts mehr gehört hatte. Mein Vater wurde also auf dem Dachboden seines Elternhauses versteckt. Einmal durchsuchte eine Polizeistreife das Haus nach dem Deserteur. Er konnte sich gerade noch in einen alten Kleiderschrank flüchten, den man von innen verriegeln konnte.

Als der Gendarm erfolglos versuchte den Schrank zu öffnen, sagte mein Opa in aller Ruhe: "Dot Biest dot klemmt! Do es awer nur ahl Gelersch dren." Erstaunlicher Weise gab sich der Polizist mit dieser Erklärung zufrieden, und mein Vater blieb unentdeckt. Da der Krieg immer sinnloser wurde kamen die Polizisten nur noch selten oder begnügten sich mit schriftlichen Nachfragen über den Verbleib des Fahnenflüchtigen. Man hatte wohl wichtigere Dinge zu tun. Jedenfalls zeigte sich später, dass die Entscheidung meines Opas goldrichtig war, wenn auch die geschilderte Situation sehr gefährlich war. Wäre mein Vater entdeckt worden, hätte man ihn standrechtlich erschossen.

  Am 20. Juli 1944 kam es auf der Wolfschanze bei Rastenburg zum Attentat auf Hitler durch Graf Claus Schenk von Stauffenberg. In Folge dieses Anschlags, den Hitler unbeschadet überstanden hat, kam es zur Verhaftung und Hinrichtung vieler Widerständler. Unter anderen wurde der aus Bad Ems gebürtige Adolf Reichwein in Plötzensee hingerichtet. In Arzbach wurde der Gemeinderechner Clemens Stotz verhaftet, der vor dem Krieg für die SPD m Kreistag des Unterwestenwaldkreises war. Stotz war als Gegner des Nationalsozialismus bekannt. Er hatte sich stets beharrlich geweigert, Mitglied der NSDAP zu werden. Das allein genügte, um von der Gestapo inhaftiert zu werden. Da bei einer Hausdurchsuchung kein belastendes Material gefunden wurde, ließ man ihn nach drei Tagen wieder frei. Stotz wurde 1969 mit der Bundesverdienstmedaille vom damaligen Landrat Klinkhammer ausgezeichnet.42)

  An dieser Stelle sei auch an den Pallottiner-Pater Dr. Johannes Nikolaus Gerharz erinnert, gebürtiger Arzbacher, der 1943 wegen wehrkraftzersetzender Äußerungen verhaftet worden ist. Er kam zunächst in das SS-Sonderstraflager Hinzert und von dort in das KZ Dachau, wo er am 29. April 1945 durch die Amerikaner befreit wurde. 43)

  Auch mit anderen, unangenehmen, kriegsbedingten Angelegenheiten wurden die Arzbacher konfrontiert. So kam es mehr und mehr zur Verknappung bestimmter Lebensmittel. Und an den Feiertagen Christi Himmelfahrt, Fronleichnam, St. Peter und Paul, Maria Himmelfahrt und Allerheiligen 1944 musste auf Anordnung der Partei gearbeitet werden. Das Hochamt konnte an diesen Tagen nur am Abend stattfinden und musste, wegen der Fliegergefahr, so kurz wie möglich gehalten werden. 44)

  Ab 23. Januar 1945 durften Privatpersonen nur noch Postkarten schreiben. Am Montag, 25. März 1945, wurde vom Gemeindediener ausgeschellt, dass Arzbach wegen drohender Fliegergefahr evakuiert würde. Alle Einwohner sollten am 26. März bis 7 Uhr das Dorf verlassen. Aber kein Arzbacher leistete diesem Befehl Folge. Am gleichen Tag verließen die letzten deutschen Soldaten das Dorf. Gegen 17.39 Uhr brach die Stromversorgung zusammen. 45) Da aber im Westerwald so schnell nichts weggeworfen wird, hatten die meisten Bürger noch eine Petroleumlampe auf dem Speicher.

  Am Dienstag in der Karwoche, 27. März 1945, rollten amerikanische Panzer in Richtung Welschneudorf vor. Es wurde ein Ausgehverbot verhängt, so dass viele Menschen die Gottesdienste in der Karwoche nicht besuchen konnten. Außerdem musste man damit rechnen, dass die deutschen Flieger beim Versuch, die Amerikaner zu bombardieren, auch im Bereich Arzbach ihre unselige Last abwerfen könnten.46) Am Karsamstag, 31. März, rückten die Amerikaner wieder ab. Damit war die akute Bombengefahr behoben. Es wurden trotzdem traurige Ostertage.

  Erst mit der Unterzeichnung der Gesamtkapitulation der deutschen Wehrmacht durch Generaloberst Jodel am 7. Mai um 2.41 Uhr: war der zweite, große Weltenbrand des 20. Jahrhunderts beendet. Pfarrer Quernheim schreibt dazu: "... Es war Zeit, dass die Verbrecher abtraten. Sinnlose Zerstörung an Brücken waren noch in letzter Stunde überall vollzogen worden... Da wurde es auch dem Dümmsten klar, dass wir 12 Jahre lang von wahnsinnigen Verbrechern regiert worden waren. Einer nach dem anderen davon trat elend ab. Der eine erschoss sich, der andere nahm Gift, der andere ergab sich und wurde gefangen. Jeden ereilte sein verdientes Schicksal."

  Die Bevölkerung war glücklich, dass die Gefahr durch die Bomber endlich vorbei war. Der Diezer Maler Rudolf Fuchs hat darüber die folgenden Verse geschrieben:

"Blick ich morgens aus dem Fenster
lob und preis ich Gott.
Fried' im Land ist,
Die Sirenen schweigen! O wie klein wird alles andre
Da mit diesem Maß ich messe!"



Quellen und Anmerkungen:
1) Manfred Overesch "Das III. Reich", Weltbild Verlag, Augsburg; 1991, Band 2, S. 621 (Zitiert: "Das III. Reich").
2) Simmern wird hier nicht mit angeführt, weil es erst in jüngster Zeit, wegen seiner kirchlichen Bindung an Neuhäusel, zur Augst gezählt wird.
3) Das Arzbacher Gemeindehaus, Backes genannt, diente zu dieser Zeit als Backhaus, Bürgermeisteramt und Rathaus und verfügte sogar über eine Arrestzelle.
4) Eintrag in der Pfarrchronik 1902 - 1962 (zitiert. Pfarrchronik) unter dem Jahr 1921.
5) Pfarrchronik Eintrag unter dem Jahr???
6) Ebenda. Eintrag in der Pfarrchronik unter dem Jahr???
7) Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich vom 20. Juli 1 933, Erstveröffentlichung am 12. September 1933 im Deutschen Reichsgesetzblatt Il. S. 979.
8) Klaus Schatz SU, Geschichte des Bistums Limburg, Mainz, 1983, s. 267.
9) Eintrag in der Pfarrchronik unter dem Jahr 1938.
10) Auch dies war ein klarer Verstoß gegen Artikel 31 des Konkordates, der auch den katholischen Religionsunterricht durch die Geistlichkeit in den Schulen des deutschen Reiches garantiert.
11) Eintrag in der Pfarrchronik unter dem Jahr 1937 und 1938.
12) Herbert Blatt, "Am Tag als der Ami kam - Die Kriegs- und Nachkriegszeit in Arzbach" in "Die Augst", Band 5, hrsg. vom Arbeitskreis Augst, Druck Karl Neisius, Bad Ems 1995, S.103 (zitiert: Blatt in "Die Augst").
13) Eintrag in der Pfarrchronik unter dem Jahr 1940. Zum damaligen Zeitpunkt waren aus Arzbach 100 Mann, aus Kadenbach 40 Mann und aus dem damals ebenfalls zur Pfarrei gehörenden Dorf Eitelborn, 64 Mann eingezogen worden.
14) Nach Auskunft der Stadtarchivarin von Montabaur, Frau Dr. Regina Fiebig.
15) Eintrag in der Pfarrchronik unter dem Jahr 1933.
16) Interview mit Ward Price, IJS Reporter von Daily Mail vom 04.07.1933, gezeigt in der Wochenschau. Das Filmdokument ist erhalten geblieben und kann Bei YouTube angesehen werden.
17) Christian Zehner, kommentierte Ausgabe von Hitler "Mein Kampf', List Verlag, 6. Aufl. 1988, S. 131.
18) Zitat Hitlers aus "Mein Kampf. Christian Zehner, kommentierte Ausgabe von Hitler "Mein Kampf', List Verlag, 6. Aufl. 1988, S. 131.
19) Nach der Erzählung meines Vaters, der damals Ministrant in der Kapelle im alten St. Josefsheim (später Haus Lebensabend) in der Kirchstraße war.
20) Eintrag in der Pfarrchronik unter dem Jahr 1938.
21) Eintrag in der Pfarrchronik unter dem Jahr 1940.
22) Zahlreichen Bergleute wurden zunächst bei Kriegsbeginn, als unabkömmlich, vom Waffendienst freigestellt. Siehe Pfarrchronik, Eintrag unter dem Jahr 1940.
23) Eintrag in der Pfarrchronik unter dem Jahr 1939.
24) Eintrag in der Pfarrchronik unter dem Jahr 1940.
25) "Grombere" lautet der mundartliche Ausdruck für Kartoffel.
26) Werkstattwochenbuch von Gotthard Winkler, Eintragung in der Woche vom 2. bis 8. November 1941 und persönliche Erzählungen meines Vaters. Wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, kam Behnke in das KZ Theresienstadt.
27) Nachtrag in der Pfarrchronik über die Jahre 1941-1945.
28) Dieter Fries "Zwischen Angst und Neugier", in "Die Augst', Band 5 (Weyand stammte ebenfalls aus Montabaur), hrsg. vom Arbeitskreis Augst, Druck Karl Neisius, Bad Ems 1995, S.96 (zitiert: Fries in "Die Augst").
29) Nachtrag in der Pfarrchronik über die Jahre 1941-1945.
30) Aufstellung Nadja Bringenberg.
31) Blatt in "Die Augst", S. 103.
32) (V = Vergeltungswaffen).
33) Blatt in "Die Augst", S. 104.
34) Ebenda.
35) Ebenda, S. 103.
36) Ebenda, S. 104.
37) Ebenda.
38) Nachtrag in der Pfarrchronik über die Jahre 1941-1945.
39) Blatt in "Die Augst", S. 104. Die Geschilderte Episode ereignete sich Ende 1944.
40) Ebenda.
41) Ebend, S. 104 und mündliche Berichte von Arzbacher Bürgern.
42) Blatt in "Die Augst', S 103ff
43) Prof. Dr. theol. Johannes Nikolaus Gerharz *16.5.1888 in Arzbach, Eintritt in den Pallottinerorden. Ostern 1903 in Schönstatt, Profess 24.09.1911, Priesterweihe: 10.04.1917, Verhaftung: 26.11.1943, Befreiung in Dachau: 29.04.1945, gest.: 12.08.1965 in Münster. Mitteilung des Archivars der Norddeutschen Pallottinerprovinz Br. Georg Adams. Vgl. das Manuskript von Pater Prof. Dr. Manfred Probst, Zwölf deutsche Pallottiner in Dachau, www.pthv.de.../Pallotti…/Stud2011-ZwoelfPallottinerDachau.pd.
44) Nachtrag in der Pfarrchronik über die Jahre 1941-1945.
45) Ebenda.
46) Ebenda.
47) Die Kapitulation trat am 8. Mai in Kraft.

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  Der Familienforscher


  Von seinen Irmtrauter Vorfahren hatte Onkel Georg die Information, das seine Familie, die Familie Quernheim aus Irmtraut, Nachfahren der Langendernbacher Adligen "von Quernheim" waren. Onkel Georg führte regen Schriftverkehr mit dem Pfarrer der Münsterländer Ortschaft Quernheim, um die Ursprünge des Adel Geschlechts "Quernheim" zu erforschen.
  Links sehen wir einen Auszug aus dem Buch "Geschichte der Familie Freiherr von Quernheim" von Heinrich Henkel. Leider fehlen hier zwei weitere Schwestern unseres Onkels und mit unserer Oma Christine ein kompletter Stamm. In diesem Stamm wäre dann auch unser Vater Norbert Horn zu erwähnen, den Herr Henkel in seinem Buch auch als Quellenangabe angibt.
  Auf Seite 288 dieses Buches werden Aufzeichnungen von Georg Quernheim als Quelle angegeben und nur 14 Zeilen darüber wird unser Vater Norbert Horn mit seinem Artikel "Vom Königsschloß zum Bauernhof" als Quelle angegeben. Der Artikel erschien am 18.6.1858 als Beilage im Nassauer Boten. Zufälle gibt es: der Pfarrer und sein Lieblingsneffe auf der selben Seite, unabhängig voneinander, zum selben Thema als Quellenangabe!
  Woher hatte Herr Henkel die Aufzeichnungen unseres Onkels? 1988 wurde das Buch gedruckt, da war unser Onkel 20 und unser Vater 2 Jahre tot.
  Als weiteres sei noch erwähnt das der Geschichtsforscher Dr. Helmut Gensicke die Abstammung der Bürgerlichen Quernheims aus Irmtraut von den adligen Quernheims aus Langendernbach mit fadenscheinigen Begründungen angezweifelt hat und mit unserem Vater diesbezüglich in Korrespondenz stand. Aus dieser Korrespondenz ging aber auch die hohe Achtung hervor, die man voreinander hatte und die sich auch darin wiederspiegelte, dass Schrifttum unseres Vaters des öfteren als Quellenangabe für den ein oder anderen Arikel von Herrn Gensicke angegeben wurde.

  Nachtrag: der gemeinsame Vorfahre der Adligen Quernheimern aus dem Hofhaus in Langendernbach und der Bürgerlichen Quernheimern aus Irmtraut ist Johann Christoph Sittig von Quernheim (1631-1678), dem noch eine eigene Seite gewidmet wird. Nur 6 Generationen musste der Opa von Onkel Georg zurückblicken, um auf ihn zu treffen.
  Drei zurückliegenden Generationen kann ein Mensch in der Regel persönliche gekannt haben und wenn die Ur-Oma dieses Menschen auch drei zurück liegende Gererationen kannte, kann man durch Augenzeugen fast 200 Jahre zurückblicken!
  Ein Gentest könnte letzte Zweifel zerstreuen!

  Als letztes möchte ich noch Herrn Henkel Postum für sein Buch danken. Schon an den Quellenangaben, dem Qualitätssiegel einer Forschungsarbeit, kann man die gewissenhafte Arbeit erkennen, sauber recherchiert ist dieses Werk von Herrn Henkel, ein Idealist, der damit sicher keine großen Reichtümer angehäuft hat.